Steht das "R" beim NDR etwa für Regierungsfreunde? Deutschlands öffentlichrechtliche Sender werden von einer Serie von Affären erschüttert. Dabei geht es längst nicht mehr nur um teure Limousinen und Massage-Sessel fürs Büro. Beim Norddeutschen Rundfunk soll es ein regelrechtes Muster der Einflussnahme zugunsten einer Landesregierung gegeben haben.

Oliver Maksan, Berlin 11.09.2022, 05.30 Uhr

Nutzniesser der Berichterstattung des NDR: Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther.
Emmanuele Contini / Imago

Es ist mehr als eine steife Brise, die derzeit über den öffentlichrechtlichen Rundfunk in Deutschland hinwegfegt. Nach der Aufregung um den Rundfunk Berlin-Brandenburg stehen nun die Einrichtungen des viel grösseren Norddeutschen Rundfunks im Sturm. Die Anstalt ist für vier Bundesländer zuständig. Die Vorwürfe wiegen schwer. Es geht um angebliche Hofberichterstattung und Vetternwirtschaft.

Mit der Unabhängigkeit der Berichterstattung steht die Glaubwürdigkeit und damit das wichtigste Gut des Senders infrage. Doch während die Kunden eine Zeitung in so einem Fall mit Kaufverweigerung strafen können, entkommen sie dem öffentlichrechtlichen Rundfunk in Deutschland nicht.

Mit 18 Euro 36 monatlich muss jeder Haushalt die neun Anstalten von ARD sowie ZDF und Deutschlandfunk finanzieren - unabhängig davon, ob er ihre Angebote konsumiert oder nicht. Verweigerern droht schlimmstenfalls Beugehaft. Deutschlands 2021 mit stolzen 8,42 Milliarden Euro alimentierter öffentlichrechtlicher Rundfunk sei insgesamt nicht nur der teuerste der Welt, sondern auch der einzige, der politische Gefangene mache, spotten Kritiker.

Von Verfassungsrichtern abgesichertes System

Juristisch ist das System dank höchstrichterlichen Urteilen bestens abgesichert. Dennoch sind Verschwendungsvorwürfe wie zuletzt beim RBB, dem ARD-Sender für Berlin und Brandenburg, Gift für die Akzeptanz. Dort soll die fristlos entlassene Intendantin Patricia Schlesinger sorglos mit dem Geld der Gebührenzahler umgegangen sein - Abrechnung privater Essenseinladungen auf Senderkosten inklusive. Sie bestreitet die Vorwürfe. Jetzt kommt eine neue, andersgelagerte Kritik gegen den NDR hinzu. Und dieses Mal geht es ums Eingemachte: die Berichterstattung.

Alles nur Einzelfälle? Oder hat der öffentlichrechtliche Rundfunk in Deutschland ein grundlegendes Problem?

In Hamburg jedenfalls wollen NDR-Mitarbeiter nicht mehr mit der Direktorin des Landesfunkhauses Hamburg, Sabine Rossbach, zusammenarbeiten. Das liessen sie ihren Intendanten diese Woche per Brief wissen. Das Schreiben zeigte offenbar Wirkung. An diesem Freitag teilte Rossbach mit, dass sie wegen der ungeklärten Vorwürfe ihre Tätigkeit ruhen lassen werde. Sie wolle auf den Posten zudem nicht dauerhaft zurückkehren. Rossbach soll, so werden Mitarbeiter zitiert, den Sender wie ein Fürstentum geführt haben. Über Jahre habe sie auf die Redaktion Druck ausgeübt, Kunden und Themen der PR-Agentur ihrer Tochter im Programm zu platzieren.

Rossbach hat eingeräumt, dass sie Angebote der Agentur ihrer Tochter weitergeleitet habe. "Sollte in der Redaktion der Eindruck entstanden sein, dass die Kunden meiner Tochter bevorzugt behandelt werden sollen, bedaure ich das", teilte sie mit.

Zahlreiche NDR-MitarbeiterInnen des LfH Hamburg wenden sich in einem Offenen Brief an Intendant Joachim Knuth. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Sabine #Rossbach könne man sich nicht mehr vorstellen. #ÖRR, pic.twitter.com/rcUkaA8DmF
- NDR Recherche (@NDRrecherche) September 6, 2022

Laut Recherchen einer unabhängigen NDR-Investigativeinheit sollen die Vorwürfe der Geschäftsleitung des NDR seit mindestens fünf Jahren bekannt sein. Eine ernsthafte Prüfung erfolgt offenbar erst jetzt - genau wie beim RBB erst nach externem Druck.

Während es sich in Hamburg um Korruptionsvorwürfe handelt, liegen die Dinge beim NDR in Kiel anders. In der Landeshauptstadt von Schleswig-Holstein wollte es sich die Redaktionsleitung offenbar lieber mit den eigenen Redaktoren als mit den Mächtigen verscherzen. Werde über den CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther gesprochen, so sei kumpelhaft von Daniel die Rede, heisst es in einem internen Untersuchungsbericht. Dieser war vom Redaktionsausschuss angefertigt worden, einer Schiedsstelle, an die sich Redaktoren bei Konflikten vertraulich wenden können. Zunächst hatte das Onlineportal "Business Insider" darüber berichtet. Dann legte der "Stern" nach.

Teile der Kieler Redaktion berichten von einem politischen Filter und einem Klima der Angst. Es komme ihnen vor, als gebe es "eine Art Pressesprecher der Ministerien, der bei kritischen Themen frühzeitig versucht zu verhindern, dass ein Thema relevant wird", werden sie in dem Bericht zitiert.

Die Vorwürfe sollen unabhängig untersucht werden

Auf Antrag der FDP befasste sich am Mittwoch auch der Landtag mit den Vorwürfen. Bettina Freitag, die stellvertretende Direktorin des Landesfunkhauses in Kiel, gab sich vor den Abgeordneten zerknirscht. Man wolle die Vorwürfe unabhängig untersuchen lassen.

Intern soll das durch eine vom Intendanten eingesetzte Kommission geschehen. Die Federführung liege explizit nicht am NDR-Standort Schleswig-Holstein, so Freitag. Auch der Landesrundfunkrat Schleswig-Holstein, das mit Ehrenamtlichen besetzte Aufsichtsgremium des NDR im Land, will sich die Vorwürfe ansehen. Bis wann Ergebnisse vorliegen, kann keiner sagen. Schnell, hofft Freitag. Sie betonte, dass man sich bis jetzt im Bereich der Verdachtsberichterstattung bewege. Bewiesen sei nichts.

Im Zentrum der Anschuldigungen stehen Norbert Lorentzen, Chefredaktor für Schleswig-Holstein, und seine Politikchefin Julia Stein. Beide haben bis zur Klärung der Vorwürfe um Beurlaubung gebeten. Freitag nahm ihre Kollegen in Schutz. Dass sie einem Mitarbeiter per Weisung untersagt hatten, ein Interview mit dem von Ministerpräsident Daniel Günther entlassenen Innenminister zu führen, müsse keineswegs als politische Einflussnahme gewertet werden. Zu diesem Ergebnis sei auch die interne Prüfung des Falls durch den Redaktionsausschuss gekommen. Vielmehr handele es sich um das Ergebnis einer legitimen journalistischen Abwägung.

NDR-Publikum erfährt nichts über Skandale bei der CDU

Und dass Stein gegen Honorar eine Veranstaltung des Landesbauernverbands mit Ministerpräsident Günther moderiert, gleichzeitig aber die Verantwortung über die Berichterstattung innegehabt habe, sei schlicht falsch. Stein sei für die fragliche Veranstaltung ordnungsgemäss beurlaubt gewesen. Dass sie im Abspann des Berichts als Verantwortliche genannt wurde: ein Fehler. An der Berichterstattung zur Veranstaltung habe sie nicht mitgewirkt.

Und warum haben die Hörer und Zuschauer des NDR nichts über die Alkoholfahrt mit Unfallfolge eines CDU-Politikers und Günther-Vertrauten erfahren? Ja, sagt Freitag, das sei im Nachhinein tatsächlich als Fehler erkannt worden.

Im Wesentlichen also allenfalls aus dem Tag heraus gemachte Fehleinschätzungen und legitime Meinungsverschiedenheiten? Überzeugen konnte Freitag damit nicht jeden. Bernd Buchholz hatte die Anhörung beantragt. Der frühere Vorstandschef des Verlagshauses Gruner + Jahr ist jetzt medienpolitischer Sprecher der FDP im Landtag. Der NZZ sagt er nach der Anhörung, dass inhaltlich keine neuen Erkenntnisse geliefert worden seien. "Es wird zu prüfen sein, ob es rein journalistische Abwägungsfragen waren, die mit guten Gründen so entschieden wurden, auch wenn dies nicht alle teilen, oder ob es eine politisch motivierte Einflussnahme gab. Bis jetzt ist das aus meiner Sicht offen."

Was sagt Ministerpräsident Günther, der zusammen mit der CDU als Nutzniesser der Berichterstattung angesehen werden kann, zu den Vorwürfen? Es sei nicht die Aufgabe des Ministerpräsidenten, "NDR-interne Vorgänge und deren laufende Aufarbeitung zu bewerten", liess er der NZZ über seinen Regierungssprecher mitteilen. Dazu verwies der Sprecher auf die Anhörung im Landtag. Peinlich achtet der Christlichdemokrat darauf, dass aus der Affäre NDR keine Affäre CDU wird.

Kenner weisen gerade bei den Landesrundfunkanstalten der ARD auf eine grosse Nähe zwischen Politik und Journalismus hin. Man laufe sich ständig über den Weg, kenne sich seit Jahren und habe natürlich auch wechselseitige Interessen. Journalisten wollten Informationen, Politiker eine gute Presse. Nicht jeder Berichterstatter sei verfilzungsresistent. Manche allerdings schon.

Der ZDF-Chefredaktor hält dagegen - und wird entlassen

Zu Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2000 sei es üblich gewesen, dass Politiker bei einfachen Redakteuren anriefen, um Druck auf die Berichterstattung auszuüben, sagte der frühere ZDF-Chefredaktor Nikolaus Brender 2012 in einem Interview mit der "Zeit". Für Aufsehen sorgte vor allem der Versuch des damaligen CDU-Generalsekretärs Laurenz Meyer, einen ihm unliebsamen Bericht zu verhindern. Brender: "Ich habe daraufhin in den bekannterweise mit zahlreichen Politikern besetzten ZDF-Aufsichtsgremien gedroht, weitere Anrufe zu veröffentlichen. Danach war Ruhe." Und irgendwann war Brender Geschichte.

Mehrere deutsche Landespolitiker, allen voran Hessens Ministerpräsident Roland Koch, sorgten im Verwaltungsrat des Senders dafür, dass Brenders Vertrag 2009 nicht verlängert wurde.

In Reaktion auf die Causa Brender entschied das Bundesverfassungsgericht 2014, dass Fernseh- und Verwaltungsrat des ZDF "staatsferner" organisiert werden müssen. Seither dürfen Bund und Länder nur noch maximal ein Drittel der Mitglieder der Aufsichtsgremien bestimmen. Auch die ARD-Anstalten nahmen entsprechende Anpassungen vor. Dem Verfassungsrichter Andreas Paulus ging das Urteil des Gerichts aber nicht weit genug. In einem Sondervotum schlug er vor, Regierungsmitglieder ganz auszuschliessen. Diese würden schliesslich "stets versucht sein, Einflussmöglichkeiten zur Durchsetzung der jeweiligen Regierungspolitik zu nutzen".

Doch was, wenn Journalisten gar nicht gedrängt werden müssen, die Regierungslinie gut zu finden? Im Gespräch mit der NZZ berichtet ein Mitarbeiter des ZDF, der lange auch für eine ARD-Anstalt tätig war, dass sich gerade in der Corona-Pandemie viele Journalisten weitgehend kritiklos hinter der Regierungslinie versammelt hätten. Seinen Namen will er aus nachvollziehbaren Gründen nicht veröffentlicht sehen. Tatsächlich kam eine Auswertung der Nachrichtensondersendungen von ARD und ZDF durch Wissenschafter der Universität Passau 2020 zum Ergebnis, dass beide Sender in der ersten Pandemiephase ein permanentes Krisen- und Bedrohungsszenario vermittelt hätten mit der Tendenz zur Affirmation der staatlichen Massnahmen.

"Missionarischer Eifer" in den Redaktionen
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WDR: ein Riese im Kreuzfeuer der Kritik

"Die Narrative der Bundesregierung hatten es in den Redaktionen lange sehr leicht in der Corona-Krise. Die Themen der Grünen finden ohnehin viel Anklang, die der Linken erfahren oft zumindest Sympathie, das Unternehmerfreundliche der FDP hat es schon viel schwerer", sagt der ZDF-Mitarbeiter der NZZ. Manche Journalisten würden sich aus Trägheit so verhalten oder auch aus Angst, anzuecken. Gerade freie Mitarbeiter müssten zweimal überlegen, ob sie sich mit der Mehrheitslinie anlegen.

Mit diesem Bericht korrespondiert eine viel beachtete Umfrage unter Volontären der ARD aus dem Jahr 2020. Demnach hätten sich bei Bundestagswahlen damals 92 Prozent für Grüne, Linkspartei oder SPD entschieden. Eine Momentaufnahme, sicher. Auch haben sich damals nicht alle Volontäre beteiligt. Und ausserdem wählen junge Leute generell weiter links als der Rest der Bevölkerung. Aber so deutlich wie der ARD-Nachwuchs?

Die Schieflage wiederum macht Teilen der Politik Sorge. "Das journalistische Personal ist einfach zu wenig pluralistisch", meint Rainer Robra. Der Christlichdemokrat leitet die Staatskanzlei von Sachsen-Anhalt. Eigentlich solle der öffentlichrechtliche Rundfunk ausgewogen berichten, sagt er. "Aber es macht sich doch in nicht wenigen Fällen missionarischer Eifer breit, sei es bei Gender, sei es bei anderen Fragen von Political Correctness."

Robra gilt als scharfer Kritiker eines ausufernden, immer teureren öffentlichrechtlichen Rundfunks. Der Landtag von Sachsen-Anhalt verweigerte als Einziger die nötige Zustimmung zur jüngsten Erhöhung des Rundfunkbeitrags - wenn auch am Ende vergeblich. Robra ist überzeugt, dass es mehr Kontrolle brauche. Die Intendanten der Sender seien die letzten absolutistischen Fürsten in Deutschland. Selbst der Bundeskanzler habe nur Richtlinienkompetenz. Wie in der Schweiz bei der SRG müsse die Macht auf mehrere Schultern verteilt werden. "Das würde helfen, Missstände wie beim RBB oder NDR zu vermeiden." llung des öffentlichrechtlichen Rundfunks nötige kritische Masse ist längst noch nicht erreicht.

Bis jetzt trauen sich nur wenige Spitzenvertreter der regierenden Parteien, so deutliche Worte zu finden. Die für eine echte Neuaufstellung des öffentlichrechtlichen Rundfunks nötige kritische Masse ist längst noch nicht erreicht.


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